Expertinnen-Interview mit den OYESS-Gründerinnen Nadja King und Anna Breidt
Die Female-Founder Szene hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Immer mehr Frauen wagen den Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Das zeigt auch der Female Founders Monitor von 2022. Trotzdem ist das Gründen als Frau noch mit einigen Herausforderungen behaftet. Nadja King und Anna Breidt, Co-Founder-innen der nachhaltigen Kosmetikmarke OYESS, kennen das selbst. Mit der Gründung von OYESS sind sie in die Selbstständigkeit gestartet und haben sowohl die Tücken als auch die schönen Seiten des Female-Founder-Daseins kennengelernt. Ihre Erfahrungen haben sie uns in einem Interview verraten.
Wieso haben Sie beide selbst OYESS gegründet und welche Motivation stand für Sie dahinter?
Nadja King: Wir haben mitten in der Pandemie unseren vermeintlich sicheren Job verloren (ich war damals sogar in Elternzeit mit einem fünf Monate altem Baby). Das war zuerst ein Riesen Schock, den wir dann aber als Chance begriffen haben, endlich das zu tun, was wir schon lange vorhatten: unsere Fähigkeiten und Erfahrung für etwas Sinnvolles einzusetzen – unsere Zukunft und die unserer Kinder mitzugestalten und zwar aktiv!
Anna Breidt: Ja, genau – wir standen damals vor der Entscheidung zurück in die Arbeitnehmerwelt oder oh yess sagen, zur Selbstständigkeit, zu Impact, zu Nachhaltigkeit, Style … Das Thema Impact beschäftig uns sehr, da wir fest daran glauben, dass jede/r einen Beitrag leisten kann. Wir zum Beispiel, in dem wir eine Marke schaffen, die es Shoppern einfach macht JA zur Nachhaltigkeit zu sagen.
Gründen Frauen anders als Männer?
Nadja King: Wenn man die aktuellen Zahlen sieht (nur etwa 20 Prozent aller Startup-Gründer sind weiblich), dann gründen Frauen immer noch zu zaghaft. Die Frage ist: Warum? Bei vielen ist das Thema zum einen fehlender Mut und Selbstbewusstsein („Warum sollte ich es schaffen?“) und zum anderen die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Job. Anna und ich wollen daher mit unserem Beispiel vorangehen und zeigen, wie man Hürden überwinden kann und wie man die für sich passenden Bedingungen schafft.
Anna Breidt: Zum Thema „passende Bedingungen schaffen“, würde ich gerne einen Praxis-Tipp einwerfen. Wenn möglich, stellen wir Fragen sehr offen und anstelle einer geschlossenen Frage mit „ja oder nein“ als Antwort, überlegen wir „unter welchen Umständen“ Dinge möglich sind. „Möchtest Du Dich selbstständig machen?“ oder „Unter welchen Umständen könntest Du Dir vorstellen, Dich selbstständig zu machen?“ – Letzteres löst doch automatisch einen ganz anderen Denkansatz aus, oder?
Welche Charakter-Eigenschaften sind als Gründerin besonders von Vorteil?
Nadja King: Aufgeschlossenheit, Neugierde und den Willen die Ärmel hochzukrempeln benötigt es, um zu starten. Alles andere lernt man quasi „on-the-job“. Mit der Zeit entwickelt man ein neues Selbstbewusstsein, Resilienz und auch mehr Mut – aber das ist ein Prozess und sollte einen nicht vom Gründen abhalten, nur weil man sich noch nicht dafür bereit fühlt. Mein größtes Learning aus den bisherigen drei Jahren Start-up: Die anderen kochen auch alle nur mit Wasser!
Anna Breidt: Entschlossenheit, da immer neue Hindernisse und Rückschläge zu überwinden sind. Team- und Kommunikationsfähigkeit, da nicht nur das Gründerteam, sondern auch das Netzwerk einen großen Erfolgsfaktor beim Gründen spielen kann. Und Flexibilität und Neugierde, da man sich ständig in neuen Situationen befindet, die neue Aufgaben, Rollen etc. von einem abverlangen.
Wie hat sich die Gründung von OYESS auf Ihre Work-Life-Balance ausgewirkt?
Nadja King: Meine Work-Life-Balance hat sich deutlich verbessert, in vielerlei Hinsicht. Ich kann meinen Tag flexibel gestalten und z.B. die Kinderbetreuung individueller für meinen Sohn gestalten. Ich fühle mich frei und in der Position die Entscheidungen zu treffen, die ich für richtig und sinnvoll halte und ich stecke meine Leidenschaft in Dinge, die mich erfüllen. Natürlich ist es viel Arbeit und auch Stress, aber es ist eben eine andere Qualität von Stress, die einem nicht so sehr auf die Psyche geht, wie in früheren Jobs. So fühlt sich der Job auch nicht mehr wie ein Job an, um nur Geld zu verdienen, sondern wie ein natürlicher und sinnvoller Teil meines Alltags.
Anna Breidt: Ja, das kann ich so nur bestätigen. Vor OYESS bin ich 10 Jahre zur Arbeit gependelt, damals auch schon mit 2-3 Tagen Home-Office – auch damals habe ich mir die Frage gestellt, unter welchen Umständen ich Familie und Karriere unter einen Hut bringen könnte. Heute bin ich noch flexibler, bin meist zu Hause, wenn meine zwei Töchter (12 und 14 Jahre) von der Schule oder vom Sport nach Hause kommen, und nehme meine Familie auch regelmäßig auf Reisen mit. Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschmelzen, daher ist es auch besonders wichtig, Fokus und Priorität im Blick zu haben und sich auch immer wieder Zeit für sich selbst einzuplanen.
Welche Herausforderungen haben Sie als Gründerinnen von OYESS erlebt?
Nadja King: Für mich galt es erstmal, meine eigenen Hürden im Kopf zu überwinden: Du hast doch ein kleines Baby, du kannst das doch gar nicht, du brauchst doch mehr Sicherheit. Der Schlüsselsatz für mich, war „Unter welchen Umständen könnte ich es mir denn vorstellen?“. Den hab ich übrigens mal in einem Verhandlungstraining bei Anna gelernt (Ich kann nur jeder/m raten, das mal bei ihr zu buchen. Das war der absolute Game Changer für mich, weil ich auf einmal in Optionen und Lösungen denken konnte und mir meinen Weg so gestalten konnte, dass es für mich passt.)
Anna Breidt: Meine größte Herausforderung war mein eigenes Selbstbewusstsein. Ich mag Zahlen und Menschen, und als wir am Anfang überlegt haben, wer welche Rolle bei OYESS übernimmt, war für mich klar, dass ich meine Erfahrung im Sales einbringen, mich aber gleichzeitig tiefer in Finanzen einarbeiten möchte. Business und Cash Flow-Plan schreiben, Finanzrunde planen, mit Investoren sprechen – da war jede Menge Neuland dabei und ich musste lernen, mir selbst zu vertrauen und wie Nadja eben so schön gesagt hat, lernen, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen. Heute haben wir nicht nur solide Pläne, Reportings etc., sondern auch tolle Investoren an Bord. Dafür bin ich sehr dankbar!
Wie gehen Sie mit Rückschlägen in Ihren Unternehmertätigkeiten um?
Nadja King: Rückschläge sind bei uns an der Tagesordnung und die tun erstmal weh und zwar mehr, als wenn es irgendein Job wäre, da es um das eigene Baby, die Firma, geht. Man lernt aber auch schnell, dass es immer irgendwie weitergeht und dass aus vermeintlichen Rückschlägen oft später die besten Chancen entstehen.
Anna Breidt: Einer meiner früheren Chefs hat immer „Red is Gold“ gesagt, was ich heute noch immer versuche anzuwenden: Anstatt den Kopf hängen zu lassen, weil etwas nicht geklappt hat, die Opportunity zu sehen, erstens Fehler zuzulassen, daraus zu lernen und zweitens kreativ eine neue Lösung zu finden. In Krisenzeiten entstehen meist die größten Innovationen.
Wie gehen Sie mit Vorurteilen um, die aufgrund Ihres Geschlechts entstehen könnten?
Nadja King: Die begleiten einen, ob man will oder nicht. Ich persönlich versuche, mich davon nicht weiter beirren zu lassen und, wenn mich etwas trifft, mir anzuschauen, warum. Ich frage mich dann „Ist das etwas, was ich in mir noch nicht angeschaut habe“ oder „Ist das gar nicht mein Thema, sondern das meines Gegenübers?“ Bei ersterem habe ich die Chance, alte Glaubensmuster in mir aufzulösen, was mich im Endeffekt noch stärker mit mir verbindet und mich festigt. Zweiteres kann ich mittlerweile gut ignorieren, weil es eben nicht meins ist.
Anna Breidt: Ja, da stimme ich Nadja komplett zu. Wichtig ist auch, sein eigenes Selbstbewusstsein aufzubauen, an die eigenen Fähigkeiten und Ziele zu glauben. Ich versuche, mich auch mit Leuten zu umgeben, die mich unterstützen und ermutigen. Ich bin so dankbar, Nadja als Partnerin in Crime an meiner Seite zu haben. Die Entscheidung, dass wir die Geschäftsführung im Tandem ausführen wollen, auch um Vorbild zu sein und Vorurteilen entgegenzuwirken, habe ich keinen Tag bereut.
Haben Sie Vorbilder gehabt, die Sie in Ihren beruflichen Werdegängen beeinflusst haben?
Nadja King: Meine Oma war immer ein großes Vorbild für mich. Als Ukrainerin, die damals zu Fuß im Zweiten Weltkrieg geflüchtet ist und sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut hat, versinnbildlicht sie für mich das Beispiel einer starken Frau.
Anna Breidt: Mein Papa ist ein großes Vorbild für mich, da er mir Spaß am Lernen vermittelt hat (Bildung & Schule war bei uns immer positiv belegt), mich bestärkt hat, meinen eigenen Weg zu gehen und einen Job zu finden, der Erfüllung bringt, eher Berufung als Beruf ist und einen (fast) jeden Morgen gerne zur Arbeit gehen lässt, und Menschen offen zu begegnen.
Welche Verbesserungen würden Sie sich bei der Förderung weiblicher Gründerinnen wünschen?
Nadja King: Was uns am meisten in den letzten Jahren geholfen hat, war der Austausch mit anderen Gründern und Gründerinnen, Investoren und generell Personen. Ich halte daher Networking Events und Organisationen, die das anbieten für besonders sinnvoll. Auch wenn es bereits einige davon gibt, kann es ruhig noch mehr davon geben.
Anna Breidt: Ich würde mir wünschen, dass das Thema Finanzierungen für Start-Ups in Deutschland stärkere Unterstützung findet, insbesondere auch der Zugang zu ausreichender Finanzierung für Gründerinnen. Mentoring und Netzwerke (Shout out an zwei tolle Beispiele FeMentor und FIN Academy) können hier eine wichtige Rolle spielen. Des weiteren möchten wir uns für dieses tolle Interview bei euch bedanken, denn durch mehr Sichtbarkeit und Anerkennung von Gründerinnen können wir anderen Frauen Positivbeispiele geben, und ihnen Mut machen, ihre unternehmerischen Träume zu verfolgen.
Welche Ratschläge würden Sie Frauen geben, die auch gründen möchten?
Nadja King: Mach einfach. Halte dich nicht an deinem eigenen Perfektionismus auf und sei
dir gewiss, alle anderen kochen auch nur mit Wasser.
Anna Breidt: Sei mutig und vertrau in deine Fähigkeiten. Baue dir bewusst ein starkes Unterstützungsnetzwerk und finde ein Gründungsthema, für das du leidenschaftlich brennst.