Social-Media-Marktführer Facebook war in der vergangenen Woche im Zentrum einer breiten Branchendebatte. Der Vorwurf: Der Digitalriese reduziert künstlich die organische Reichweite von Firmenpost, um mehr zahlende Werbekunden zu gewinnen. Die organische Reichweite bezeichnet die Anzahl der Einzelpersonen, die einen Beitrag sehen können. Dies sind nicht nur „Fans“ der Seite, sondern etwa auch deren Freunde, wenn der Beitrag geteilt oder mit „Gefällt mir“ kommentiert wird. Von Oktober vergangenen Jahres bis Februar 2014 sind die Reichweiten einer durchschnittlich stark besuchten Seite von 13 % auf 6,15 % halbiert worden (ein Bericht ist hier zu finden).

In einem Exklusiv-Interview mit dem Magazin HORIZONT, nimmt nun F. Scott Woods, Chef von Facebook Deutschland, Stellung zu den Vorwürfen und rechnet mit alten Klischees im Social Marketing ab.

Derzeit hat Facebook knapp 1,2 Milliarden Mitglieder, Tendenz fallend. Doch die Masse ist für Woods zweitrangig. Viel bedeutender sei das soziale Netzwerk als besonders skalierbarer Markenkanal: „Die Kernleistung der Plattform besteht vor allem darin, das optimale Publikum für die Werbebotschaft der Marketiers zu liefern.“ So könnten Marketiers deutlich früher die Stimmung der eigenen Konsumenten analsieren: „Das hat vor allem den Teil der Kommunikationswelt interessiert, der sich – wie zum Beispiel die PR-Abteilungen – auch vorher schon mit dem Kundendialog auseinandersetzte. In der nächsten Weiterentwicklung ging es dann um die Frage, wie sich diese Menschen als Markenbotschafter nutzen lassen.“ Nicht ohne Grund sind die Werbeeinnahmen des Online-Giganten im 1. Quartal 2014 erneut um sagenhafte 82 Prozent gestiegen.
Doch von einer Revolution der Marketing-Arbeit durch die sozialen Medien will Woods nicht sprechen. Seiner Ansicht nach ginge es im Marketing nicht um eine höhere Anzahl von Fans sondern um Marktanteile beziehungsweise die Markenwahrnehmung. „Wenn man noch kein Reichweitenmedium ist, versucht man logischerweise auch nicht, reichweitenrelevante Werbeformate zu etablieren. Diese Welt hat sich in den letzten zwei Jahren dramatisch schnell geändert.”

Trotz der neuen Strategie bleibt Facebook für Marketiers ungemein relevant. Gegenwärtig sind Content-Marketing-Strategien (Mehr Informationen hier) zum Hauptfokus für Marketingentscheider geworden. Basis der Arbeit ist die Entwicklung von Content, der so ansteckend ist, dass er sich unkontrollierbar verbreitet und so die Marke überproportional in den Medien verbreitet.

Das die Taktik aufgeht, zeigt sich etwa an einem aktuellen Beispiel: Samsung erntete durch ein bei der Oscar-Verleihung 2014 geschossenes „Selfie“, dass sich im Internet weltweit verbreitete, gemessen deutlich mehr Aufmerksamkeit, als über die klassischen Werbeschaltungen.

Facebook ist in erster Linie ein Verbreitungskanal. Diese Meinung teilt Vodafone-Marketingchef Gregor Gündgens in einem Online-Kommentar auf horizont.net: “Die, kopernikanische Wende’ bedeutet nicht, dass Werbung nichts mehr kostet, sondern dass sich die Rolle des Menschen / Konsumenten im Marketingmodell verändert hat! Facebook steht hier pars pro toto für die Digitalisierung und die damit verbundene Machtfülle und Aufgeklärtheit unserer Kunden. Daher muss es in Zukunft mehr den je darum gehen, das Geld dafür auszugeben, Kunden wertzuschätzen und zufrieden zu stellen, um sie dazu zu bewegen, Fürsprecher der Marke und ihrer Botschaften zu werden.”

Einige Marketingentscheider glauben jetzt, dass es besser ist sich nach Alternativen für dialogische Marketingideen zu erkundigen. Beispielsweise Google Plus, das zwar deutlich weniger Nutzer als Facebook hat, aber angesichts der sinkenden organischen Reichweite des Marktführers plötzlich deutlich weniger benachteiligt wirkt.

Die Online-Version des Original-Interviews, kann hier nachgelesen werden.